Die Erdbeere wurde bereits in der Steinzeit kultiviert und war in Europa stets eine wichtige Nutzpflanze. Vor der Entdeckung Amerikas war aber nur die kleinwüchsige Walderdbeere bekannt. Sie wurde zwar ausgiebig kultiviert, doch gelang es nie, ihre Früchte zu bedeutenderer Größe heranreifen zu lassen.
Bodennaher Wuchs und bescheidene Größe – bei gleichzeitig süßem Geschmack – blieben damit auf Jahrhunderte Kennzeichen der Frucht. Das war der Grund dafür, dass sie in der bildenden Kunst des Mittelalters einerseits als Zeichen der Bescheidenheit verwendet wurde, andererseits symbolhaft für die Paradiesfrucht verwendet wurde. In dieser Form taucht sie besonders augenfällig in den Werken von Hieronymus Bosch auf, namentlich im Garten der Lüste. Ihre Verwendung in der christlich geprägten Malerei war daneben von Zahlensymbolik geprägt: Die Dreiheit der Erdbeerblätter sollte die Dreieinigkeit symbolisieren, die Fünfzahl der Blütenblätter an die fünf Kreuzigungswunden erinnern. Und bis heute erscheinen Erdbeerblätter in den Rangkronen des britischen Hochadels.
Die Erdbeerfrucht dagegen begegnet uns heute vor allem im Firmenlogo des Unternehmens Weckauf jedem zweiten Einmachglas – wobei weder „Frucht“ noch „Beere“ die korrekten Begriffe sind. Strenggenommen handelt es sich um eine Scheinfrucht, nämlich um ein fleischiges Gebilde, das winzige Nüsse – die Kerne der Pflanze – an seinem Äußeren trägt. Korrekt könnte man also von der „Erd-Nuss“ sprechen oder auch von der „Erd-Rose“ – denn süß, wie sie duftet, ist die Erdbeere ein Rosengewächs.
Wie eingangs bemerkt, ist die ursprüngliche Erdbeere klein und unscheinbar. Im 17. und 18. Jahrhundert stießen europäische Siedler in Amerika jedoch auf riesige Verwandte unserer einheimischen Pflanze: Die Scharlach- und die Chile-Erdbeere. Es war das Verdienst bretonischer Gärtner unter dem Ancien Régime, aus einer Kreuzung dieser Arten unsere heutigen Kulturerdbeeren geschaffen zu haben. Deren üppige Formen passen nicht recht zur klassischen christlichen Konnotation der Bescheidenheit, viel besser dagegen zu den lustvollen Assoziationen, welche die Zeile „Ich bin so wild nach deinem Erdbeermund“ weckt.
Aber passt diese erotische Gedankenverknüpfung zu mittelalterlichen Versen, wo doch im Mittelalter die Erdbeere als göttliches Symbol galt? Nein; und das Gedicht „Ich bin so wild nach deinem Erdbeermund“ stammt auch gar nicht aus dem Mittelalter. Zwar wird es oft François Villon zugeschrieben, dem bedeutendsten französischen Dichter des 15. Jahrhunderts, doch ganz zu Unrecht. „Ich bin so wild nach deinem Erdbeermund“ ist viel jüngeren Datums. Paul Zech, ein Autor des 20. Jahrhunderts, verfasste es erst im Jahre 1930 und nahm es in sein Buch „Die lasterhaften Lieder und Balladen des François Villon“ auf. Darin versammelte er (äußerst) freie Adaptionen originaler Werke Villons mit Eigenproduktionen, die allenfalls in Stil und Thema an sein mittelalterliches Vorbild erinnerten.
Seitdem wird der Erdbeermund untrennbar (doch zu Unrecht) mit Villon verbunden, noch untrennbarer freilich mit Klaus Kinski, der die wohl bekannteste Audiofassung des Gedichts einsprach. Spätestens seit dieser Aufnahme gehört es endgültig zum gemeineuropäischen Kulturgut und wird von Schaffenden aller Werkgattungen evoziert und exploriert – von Kinski über die schottische Band Franz Ferdinand bis zum heutigen Abend!
Aber nun bin ich wieder zu voreilig – bevor zum süßen Finale der Erdbeermund rezitiert wurde, gab es zunächst die Gedichte Die Erdbeerevon Ferdinand Ludwig Adam von Saarund August Heinrich Hoffmann von Fallerslebens Erdbeerlese, wunderbar vorgetragen von der einmaligen Birgit Schmitges. Dazu wurden die folgenden Gänge aufgetischt:
Zum Cocktail – bestehend aus Erdbeer-Rhabarber-Püree, das mit Rosenwasser parfümiert war und mit Vodka und Sekt zu einer süffigen Bowle aufgegossen wurde – gab es kleine Focaccia-Kugeln mit getrockneten Kräutern und einer Erdbeer-Radieschenbutter.
Gruß aus der Küche war ein Happen Pecorino mit Balsamico und Basilikum, zusammengehalten von einem Stück Erdbeerschnur.
Der erste offizielle Gang bestand aus einem Wassermelonen-Erdbeer-Gazpacho, der griechisch gewürzt daherkam: Als Einlage dienten Pinienkerne, schwarze Oliven, Minze und Feta.
Weiter ging es mit einem Flusskrebssalat mit Mayonnaise und Erdbeeren, etwas scharf angemacht und mit eingelegtem Rettich serviert.
Zum Hauptgang ging es in Südstaatengefilde mit einem frittierten knusprigen Huhn, grünem Spargelsalat und Erdbeerketchup.
Und zum Dessert gab es eine kleine Kalorienbombe: Ein Oreokeks-Törtchen mit Valrhona-Ganache, kandierten Haselnüssen, marinierten Erdbeeren und einer Kugel Szechuanpfeffer-Eis.
Bei gut gelaunter Atmosphäre wurde viel Rosé geschlürft und bevor die versammelte Mannschaft nach Hause ging, bekam jeder noch als Betthupferl einen Erdbeer-Basilikumtrüffel in weißer Schokohülle serviert!
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