Nach sehr langer Sommerpause meldete sich am vergangenen Samstag das Performance Dinner mit einem Abend im Bad Homburger Kunstverein Artlantis zurück. Das Ausstellungsgebäude, eine ehemalige Kartonage-Fabrik, hat mit seinen hohen Decken und dem dunklen Boden einen ganz besonderen Charme; die Tische wurden auf einer winzigen Bühne aufgebaut, die nur etwa 15 cm höher ist als der restliche Boden baut.
Zur Ausstellung des 7. Herbstsalons – eines Events, das alle zwei Jahre stattfindet – wurden elf Künstler präsentiert. Und da ich keinen von ihnen außen vor lassen wollte, entschied ich spontan, eine neue Version des Performance Dinners ins Leben zu rufen: Kleinere Portionen, dafür aber elf Gänge, so dass sich jedes Gericht mit meinem Favoritenwerk des jeweiligen Künstlers beschäftigte. Als die ersten Anmeldungen eintrudelten, merkte ich schnell, dass ich auch eine ganz neue Klientel bekam. Bei 20 Teilnehmern gab es diesmal tatsächlich nur einen einzigen Gast, der zuvor schon mehrfach an Dinners teilgenommen hatte. Ich war also etwas aufgeregter als sonst, was aber auch gleichzeitig sehr schön war.
Nach einer kurzen Intro, in der ich über meinen eigenen Werdegang berichtete, aber auch das Performance Dinner in Kontext mit anderen Eat Art-Künstlern setzte (Daniel Spoerri, Gordon Matta-Clark, Rirkrit Tiravanija), machte ich noch auf eine gerade abgelaufene Aktion von Tobias Rehberger und Rirkrit Tiravania aufmerksam. Diese hatten zum 30. Jubiläum des Portikus in Frankfurt für eine Woche einen Stand in der Kleinmarkthalle bespielt und dort Essen auf selbst gestalteten Keramiken verkauft. Kunstkenner fragten sich dabei, ob das Werk zerstört würde, wenn man das aufgelegte Gericht verzehrte, oder ob auch der dreckige Teller noch als Kunstwerk zu betrachten sei. Nicht umsonst hieß dieses Projekt dann auch passend „Dirty Dishes“.
Aber zurück zum 14. Oktober. Nach einem Cynar Tonic ging es auch schon mit dem Essen los. Einen Brotkorb gab es diesmal nicht, sondern für die fotografischen Arbeiten von Thorsten Andreas Hoffmann ein Kartoffelknäcke mit Pesto aus Karottengrün. Hoffmanns Fotos von Stadtszenen werden mit Langzeitbelichtung aufgenommen und haben einen tollen abstrakten Effekt mit fast gezackten Rändern, die mich zu diesem Brot inspiriert haben. Es wurde ganz dünn augerollt bei niedriger Hitze in einer trockenen Pfanne langsam knusprig gebacken und mehrfach mit einer Zucker-Milch-Mischung bepinselt.
Die Malerei von Hayko Spittel, der gerne aus dem Auto heraus Fotos von der Landschaft macht und diese verwackelten Aufnahmen als Grundlage für seine Waldszenen nimmt, die er in einem langwierigen Prozess immer wieder überarbeitet, standen Pate für einen Salat aus Quinoa, roher Rote Bete, Ziegenfrischkäse und Avocado, der so in Schalen drapiert wurde, dass er die Optik des Motivs annahm.
Weiter ging es mit den Arbeiten Gertrud von Wincklers, die sich seit einigen Jahren mit dem Thema Verpackungen auseinandersetzt und teils konsumkritisch alte Bäckertüten, ALDI-Tüten etc. weiterverarbeitet. Die so geformten Päckchen ließen mich sofort an ein verpacktes Brot denken. Einen Tag darüber geschlafen, entschied ich mich aber, einen asiatischen Einschlag ins Essen zu bringen und bot Reispapierrollen mit einer Garnelen-, Karotten- und Mangofüllung an, die dem Wincklerschen Kunstwerk verblüffend ähnelten.
Der vierte Gang beschäftigte sich mit den Metropolis-Szenen Nora Bauernfeinds, die mich beim ersten Betrachten der Ausstellung sofort angesprochen hatten. Das Chaotische einer Autobahn (bzw. einer Großstadt) wurde von der Künstlerin genial auf Platten gebannt; das changierende Spiel aus dunklem Grund und weiß-orangefarbenen sowie violetten Spuren darauf ließen mich ein Süßkartoffelpüree servieren, das mit knusprig ausgebackener Blutwurst, einem getrockneten Rotkrautpulver und Trockenvinaigrette belegt wurde.
Kerstin Lichtblaus Arbeiten auf Leinwand haben für mich etwas Comichaftes, erinnern an Manga und Disney zugleich und zeigen vor allem junge Mädchen mit großen verträumten Augen. Eine der Arbeiten – „Act Now“ –zeigt am unteren Bildrand jedoch auch ein Kaninchen. Eben jenes stand Pate für den folgenden Gang: Eine Kaninchenlebermousse mit Apfelmarshmallow, in Essig eingelegten Apfelstückchen, die mit Koriandersaat abgeschmeckt wurden, und einer Hülle aus weißer Schokolade mit Wasabi.
Die Mischtechniken auf Leinwand von Gabi Moll kommen im Vergleich zur vorher besprochenen Künstlerin ganz kleinformatig und viel düsterer daher. Der Tuscheauftrag wird teils wieder mit Wasser abgetragen und der bleibende Fleck mit Ölfarbe erneuert. So geht die Künstlerin von einem Geben zu einem Wieder-Wegnehmen über und lässt am Ende die so entstandenen organischen Formen für sich selbst sprechen. Als Speise reichte ich hierzu eine dick eingekochte Mole mit vier verschiedenen Chilisorten, Trockenpflaumen, Brioche und Nüssen. Darauf saßen zwei Kartöffelchen in einer Kruste aus Tonerde und eingefärbtem Lactosepulver, die so sie an kleine Kiesel erinnerten. Abgerundet wurde das Ganze mit einer Aioli, die nicht mit frischem, sondern in Öl pochiertem Knoblauch zubereitet wurde.
Der erste Hauptgang des Abends bestand aus einem Kichererbsen-Panisse mit Polenta und spiegelte das Erdreich der Pastellkreidezeichnungen Eleonore Poths wider. In der Arbeit sieht man Telefonmasten, Geröll und viel blauen Himmel, der mit dicken Wolken versetzt ist. Zu der Grießschnitte servierte ich kleine Chicken-Nuggets und eine blaue Sauce aus Gorgonzola und Buttermilch.
Für den zweiten Hauptgang standen die Arbeiten der Gewinnerin des 7. Herbstsalons Pate: Marina S. Andriewsky, die auf riesengroßen Leinenbahnen mit Tusche, Tempera und Blattgold Insekten darstellt. Die Werke sind nicht auf Keilrahmen gezogen, sondern einfach mit Nägeln an die Wand gebracht, so dass man direkt an die Konservierung von Sammlungsexponaten denken muss und wie diese auf Nägelchen aufgespießt präsentiert werden. Zu essen gab es ein Stück Wildlachs, mariniert in einer Zitrus-Salz-Zucker-Mischung und in Öl pochiert. Das Stück Fisch bekam eine Blattgold-Ummantelung und wurde dank frischen Orangenfilets in einer Piment-d’Espelette-Honig-Sauce ein frisches und leichtes Gericht.
Als Brücke zwischen salzigen und süßen Speisen gab es einen Käsegang, der aber mit fruchtigen und zuckrigen Elementen verfeinert wurde. Zu den überarbeiteten Fotografien von Birgit Fischötter, die unter anderem mit Folien auf den Fotos arbeitet und diese auch übermalt, gab es eine spezielle Fotografie, auf der Quitten zu sehen sind. Comté mit Olivenkaramell, Pistazienkrokant und dreierlei von der Quitte war einer der kleinsten Gänge, aber eine Geschmacksexplosion.
Nun gingen wir allmählich zum Endspurt über: Die Skulpturen der im spanischen Zaragoza geborenen, mittlerweile jedoch in den Niederlanden lebenden Paz Sanz sind wahre Weibsbilder. Groß, mächtig und majestätisch kommen sie daher und nehmen den Raum ein, sind dabei aber zugleich auch weich und lieblich. Ihre Arbeiten manifestierten sich auf dem Teller in einen braunen Zucker-Cheesecake mit Tomatenkaramell und Brombeere.
Zum Abschluss gab es ein erfrischendes Lychee-Granita mit Vanillecreme, Himbeeren, Ananas und Minze. Das Dessert war so angerichtet, dass es visuell an den Werkkomplex „Mikroben“ von Julia Kellerbrand erinnerte – Malerei-, Fotografie- und Druck-Arbeiten, die auf runden Metallplatten präsentiert werden und an den Blick in eine Petrischale denken lassen.
Nach der sehr langen Pause war dies ein gelungener Auftakt in die Herbst/Wintersaison!
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